Kartenausschnitt Berner Jura

Kartenausschnitt Berner Jura © OpenStreetMap-Mitwirkende

In der Deutschschweiz sind in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche toponymische Lexika entstanden, welche zum Ziel haben, die im jeweiligen Gebiet vorkommenden Orts- und Flurnamen zu dokumentieren und zu deuten. Die Lexika versammeln Siedlungs- und Gemeindenamen, Flurnamen, Namen von Gewässern, Bergen, Wäldern, Tälern usw., halten mundartliche und historische Namenformen fest und erklären ihre Herkunft und sprachhistorische Entwicklung. Mittlerweile sind Namenbuchprojekte für viele Kantone bzw. Regionen bereits abgeschlossen (Appenzell, Thurgau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Schwyz, Uri, Nidwalden, Zug, Schaffhausen, Graubünden), befinden sich in einem fortgeschrittenen Zustand (Bern, Solothurn, Luzern, St. Gallen, Oberwallis) oder es liegen zumindest partielle Bearbeitungen vor (Zürich, Aargau, Glarus), so dass beim heutigen Stand bereits ein guter Teil der Deutschschweiz abgedeckt ist. Verbleibende Lücken betreffen vor allem die Kantone Aargau (bisher nur Gemeindenamen), Zürich (bisher nur Siedlungsnamen), Obwalden und die Region Deutschfreiburg. Für die italienische Schweiz gibt es mit dem Repertorio toponomastico ticinese (RTT) ein vergleichbares Vorhaben.

Die Romandie ist in dieser Hinsicht bisher hingegen noch ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Mit den Deutschschweizer Namenbuchprojekten oder dem RTT vergleichbare Vorhaben gab es für die Romandie bisher noch nicht. Vorhandene toponymische Arbeiten sind entweder so kurz und summarisch, dass sie dem Material nicht gerecht werden, oder veraltet.

Erfreulicherweise beginnt sich dies nun zu ändern. Am 6. Dezember 2019 lud eine Arbeitsgruppe der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) zur Präsentation des Projektes Toponymie de la Suisse romande an die Universität Neuenburg ein. Die Arbeitsgruppe unter der Leitung von Prof. em. Dr. Iwar Werlen stellte ihr Vorhaben vor, das auf die toponomastische Erschliessung der Romandie abzielt, und berichtete von Vorarbeiten, die bereits erfolgt oder noch im Gang sind. Als Pilotprojekt wird zunächst in Zusammenarbeit der Universitäten Bern und Neuenburg die Bearbeitung des französischsprachigen Berner Juras angegangen.

Das Pilotprojekt zum Berner Jura stützt sich auf den sogenannten Fichier Muret, eine umfangreiche Sammlung dialektaler Namenformen der Romandie (Kantone Waadt, Wallis, Genf, Freiburg, Neuenburg und Bern) vom Anfang des 20. Jh. Diese Karteikartensammlung, die auf der Redaktion des Glossaire des patois de la Suisse romande (GPSR) lagert, wurde im Rahmen der erwähnten Vorarbeiten zum Projekt Toponymie de la Suisse romande bereits digitalisiert und online zugänglich gemacht.

Screenshot Fichier Muret online

Der Fichier Muret online

Derzeit laufen Arbeiten zur Einarbeitung der Daten aus dem Fichier Muret in die kantons- und projektübergreifende toponymische Datenbank FLUNA, wo sie mit anderen Datensätzen verknüpft werden. Von diesen Arbeiten berichteten anlässlich der Projektpräsentation Jérémie Delorme und seine Mitarbeitenden Julie Rothenbühler, Nathaniel Hiroz, Othilie Girardin und Cassandre Javet (alle Universität Neuenburg, GPSR). Thomas Franz Schneider und Hannes Degen (Universität Bern) präsentierten die Forschungsstelle für Namenkunde (Ortsnamenbuch des Kantons Bern) und demonstrierten den Aufbau und die Arbeitsweise der an der Forschungsstelle in Bern beheimateten Datenbank FLUNA. Zudem berichtete Tobias Roth (Schweizerisches Idiotikon) von der Einbindung der Daten in das Ortsnamenportal ortsnamen.ch, das auf diesen Termin hin zusätzlich unter toponymes.ch in einer französischen Fassung erschien.

Es folgten Thomas Franz Schneiders Ausführungen zum weiteren Vorgehen des Projekts Toponymie de la Suisse romande. Er stellte diverse Fragen u.a. zu den nächsten Schritten, zur Organisation, zur Zeitplanung und zur Finanzierung zur Diskussion. Zudem wird aufgrund des Rücktritts von Iwar Werlen das Präsidium der Arbeitsgruppe neu zu besetzen sein. Eröffnet und abgeschlossen wurde die Projektpräsentation von Dr. Manuela Cimeli, die als Vertreterin der SAGW in der genannten Arbeitsgruppe mitwirkt und organisatorische und koordinierende Aufgaben übernimmt.

Eine weitere Initiative zur Toponymie der Romandie geht seit 2018 von Dr. Michiel de Vaan aus, der mit einem Team der Universität Lausanne Arbeiten an einem Waadtländer Orts- und Flurnamenbuch an die Hand nahm. Einzelne Gemeinden sind bereits bearbeitet und die Resultate im Online-Atlas AtlasTopVaud einsehbar. Forschung zu Ortsnamen aus geografischer Sicht findet ausserdem an der Universität Genf statt, wo 2019 das Kolloquium Namenforschung Schweiz / Colloque Onomastique Suisse abgehalten wurde.

Durch die erwähnten Initiativen ist nun erfreulicherweise eine Dynamik in Gang gekommen, die in näherer Zukunft bedeutende Fortschritte bei der Erschliessung der Toponymie de la Suisse romande verspricht und hoffentlich längerfristig in der Publikation eines entsprechenden Namenlexikons (oder mehrer Namenlexika) münden wird.

Bibliografische Angaben zu den erwähnten Namenlexika sind zu finden unter: https://www.ortsnamen.ch/index.php/de/regionale-projekte

Blogbeitrag bei der SAGW: https://sagw.ch/sagw/aktuell/blog/details/news/ein-lexikon-zu-den-ortsnamen-der-romandie/