diese woche habe ich einen vortrag von prof dunkel über ‘evolution in der sprache’ gehört. ein zentraler punkt war, wie man sich denken kann, das phänomen sprachwandel, und dunkel sprach bei der suche nach ursachen in erster linie von prestige. er argumentierte, man beginne, anders zu sprechen, weil man cool klingen wolle; die motivation sei im wesentlichen dieselbe wie wenn man sich neue jeans oder ohrringe zulege. von prestige sprechen auch viele lehrbücher, wenn sie sprachwandel behandeln. weitere faktoren, welche in solchen einführungsbüchern zur sprachgeschichte gerne genannt werden, sind: sprachökonomie (ziel: effizienteres sprechen), neubildungen aufgrund von innovationen (neue sachen brauchen neue namen), mehr oder weniger zufällige variation. manche forscher machen ausserdem “außersprachliche[] Faktoren” verantwortlich (von polenz zitiert nach schmid 2007:11), andere betonen eine finalität (zielgerichtetheit) in der sprachentwicklung (coseriu zitiert nach schmid 2007:11f.). ferner wurde vorgeschlagen, die sprachliche entwicklung als eine “Lösung von Widersprüchen im Sprachsystem und/oder in der sprachlichen Kommunikation” zu sehen (langner zitiert nach schmid 2007:14).
nun möchte ich diese punkte nicht abstreiten, meine aber doch, dass sie weitgehend an der sache vorbeizielen. prestige, sprachökonomie, neubezeichnungen aufgrund von innovationen etc. spielen sicherlich eine rolle, aber m.e. nur eine untergeordnete. wie ich mir die ursachen des sprachwandels selber vorstelle, ist im folgenden diagramm ersichtlich.
der entscheidende punkt ist also, dass die sprache ein arbiträrer code ist, der täglich millionenfach für die codierung und decodierung von äusserungen verwendet wird. dabei passieren notwendigerweise eine menge fehler, sowohl beim sprechen (codieren) wie auch – und dies halte ich für besonders wichtig – beim hören (decodieren). da ein hörer sich nicht bewusst ist, dass er etwas missverstanden hat, wird er seine interpretation als korrekten sprachgebrauch auffassen und so weiterverwenden – so entsteht neuer sprachgebrauch. der zentrale motor des sprachwandels ist also die reanalyse und neuinterpretation von sprachlichen äusserungen im kopf des hörers. sprachwandel kann somit m.e. am besten als die konventionalisierung von sprachlichen fehlern und missverständnissen beschrieben werden.
referenz
schmidt, w.: geschichte der deutschen sprache. stuttgart, 2007
Joachim
Der da hat eine ganze Menge zu diesem Thema zu sagen (und gibt es Besseres dazu zu sagen?):
Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. Suhrkamp.
§§1-ca.142
Yana
Following Stockwell(1977), one may say that an innovation starts life as an error: either a misunderstanding (perception error) or a misuse of the received grammar (production error). Misunderstanding here is to be taken as misanalysis or faulty processing of the linguistic code. It goes without saying that to make a case for change in which such faulty analysis is explanatory, it is necessary to show some linguistic patterns and processes that might be supposed to provide the basis for error. It is only then that one can answer the question of how a new pattern, or a new interpretation of an old pattern may be innovated.
Reanalysis, however, is one of the mechanisms of change cf. Harris,A.&L.Campbell,1995: Historical Syntax in Cross-linguistic Perspective. There study focuses on syntax but it ends with a theory of change based upon the existence of three mechanisms of change, a set of general diachronic operations implemented by means of one of these mechanisms, a set of general principles that interact with these operations, and a set of universally available exploratory expressions.
Stefan
Dunkel und Luzi sprechen von zwei unterschiedlichen Dingen. Luzi zeigt, wie der Sprachwandel in vielen Fällen entsteht. Es gibt auf dieser Stufe sicherlich noch andere Möglichkeiten wie z. B. die Spielerei. Dunkel aber setzt bei Konventionalisierung an. Hier ist die Frage, weshalb manche von Individuen oder Gruppen geschaffene Änderungen konventionalisiert werden und andere nicht. Luzis Frage ist der Wissenschaft sicher zugänglicher als jene Dunkels, die in vielem immer dunkel bleiben wird (sic!).