zur zeit macht eine meldung die runde, wonach das englische angeblich nicht wie bisher gedacht eine westgermanische, sondern eine skandinavische (nordgermanische) sprache sein soll. die quelle, soweit ich sie zurückverfolgen konnte, ist dieser beitrag im research magazine der uni oslo. dahinter stehen der norwegische professor faarlund und sein kollege emmonds, die es zu meinem erstaunen mit dieser gewagten these sogar bis in die nzz am sonntag (ausgabe vom 2. dez., s. 69) geschafft haben.

die these lautet in einer kürzestzusammenfassung folgendermassen: das heutige englische ist nicht ein fortsetzer des altenglischen, das angeblich ausgestorben sein soll, sondern es ist die sprache der damals in teilen englands ansässigen skandinavier, umgeformt durch vielfältige einflüsse der einheimischen, englischsprachigen bevölkerung.

manch einer wird sich nun fragen, ob da etwas dran ist. wird man an universitäten weltweit bald alle englischen institute den skandinavistischen abteilungen angliedern müssen? zur beruhigung nicht nur der universitären administrationen darf ich entwarnung geben: nein, an der these ist nichts dran.

zunächst ist einmal zu sagen, dass das englische weltweit zu den am besten erforschten sprachen gehört. schon generationen von forschern haben sich mit der entwicklung des englischen beschäftigt, und die menge an forschungsliteratur füllt ganze bibliotheken. dass sich alle diese forscher in einem so grundsätzlichen punkt geirrt haben könnten, ist zwar nicht prinzipiell auszuschliessen, aber höchst unwahrscheinlich. wer also etwas anderes behauptet, braucht sehr gute, zwingende argumente. was faarlund und emmonds für ihre these ins feld führen, ist nun allerdings alles andere als zwingend (ich beziehe mich dabei auf den artikel im research magazine, da eine wissenschaftliche publikation so weit ich weiss bisher nicht erfolgt ist). aus dem magazin-artikel geht hervor, dass sich die argumentation auf zwei punkte abstützt, den wortschatz und die syntax. wieso beides nicht überzeugend ist, möchte ich im folgenden kurz ausführen.

unbestritten ist, dass die englische sprache in der zeit des danelaw durch die in england ansässigen skandinavier beeinflusst worden ist. davon zeugen in erster linie die recht zahlreichen skandinavischen lehnwörter im englischen. bekanntlich gehören auch wörter des grundwortschatzes wie das verb to take oder substantive wie skirt oder skin dazu. zudem gibt es vereinzelte einflüsse auf die grammatik, so stammt zum beispiel das pronomen they aus dem nordgermanischen. das ein pronomen entlehnt wird, ist tatsächlich eher ungewöhnlich und zeugt von einem vertieften kontakt.

nun ist es allerdings so, dass man in der sprachhistorischen forschung für fragen der genetischen verwandtschaft von sprachen den wortschatz ausser acht zu lassen pflegt. der grund dafür ist einfach: entlehnungen von wörtern sind äusserst häufig und können den wortschatz einer sprache in relativer kurzer zeit so stark transformieren, dass die genetische herkunft unter umständen nicht mehr deutlich zu erkennen ist. der wortschatz kann daher kulturkontakt aufzeigen, taugt aber nicht zur beurteilung der genetischen verwandtschaft. das beste beispiel dafür liefert ironischerweise das englische: ein grossteil des englischen wortschatzes ist lateinischer oder romanischer herkunft – das macht das englische aber noch lange nicht zu einer romanischen sprache.

aus diesem grund werden in der forschung für die frage nach der einordnung einer sprache in ihren stammbaum mit gutem grund die grammatischen komponenten höher gewichtet. am grammatischen system ist denn auch heute noch leicht zu erkennen, dass das englische in die germanische sprachfamilie gehört: formenbildung und satzbau beweisen zweifellos die zugehörigkeit zum germanischen. daher tun faarlund und emmonds sicher gut daran, die syntax zu beachten. dies ist nur schon deswegen verdienstvoll, weil die syntax in der traditionellen sprachgeschichtsforschung oft vernachlässigt worden ist. die angeführten beispiele sind allerdings kaum geeignet, um die skandinavische herkunft des englischen aufzuzeigen.

sicherlich gibt es übereinstimmungen. man vergleiche zum beispiel den satztyp mit einer präposition in satzschliessender position:

Engl. This we have talked about.
No. Dette har vi snakka om.

dies ist in der tat ein unterschied zu den anderen westgermanischen sprachen: im deutschen zum beispiel ist dieser satzbau nicht möglich. es ist aber keineswegs so, dass diese situation nur eine interpretation zulassen würde. so scheint es mir durchaus möglich, dass es sich um einen lehneinfluss handeln könnte. denkbar wäre auch, dass es sich bei den syntaktischen übereinstimmungen in einzelnen fällen um gemeinsames erbe handelt. dies würde insofern nicht erstaunen, als es auch in der formenbildung einige übereinstimmungen zwischen dem englischen und dem skandinavischen gibt (vgl. dazu zum beispiel die arbeit von h.f. nielsen 1985). dies bedeutet also nichts neues und würde lediglich die bereits bekannte tatsache bestätigen, dass das englische von den westgermanischen sprachen diejenige ist, die am meisten gemeinsamkeiten mit dem nordgermanischen aufweist. der schluss, dass das englische deshalb insgesamt als skandinavische sprache zu gelten habe, ergibt sich daraus ganz sicher nicht.

ausgeblendet wird ferner die möglichkeit, dass die syntaktischen strukturen unabhängig voneinander entstanden sind. im deutschen ist zum beispiel die sehr ähnliche konstruktion er schliesst die türe auf möglich. nun ist auf hier auf das verb bezogen (aufschliessen), aber historisch gesehen handelt es sich natürlich um das gleiche wort wie in der präpositionalphrase auf dem tisch. der oben genannte satztyp mit satzschliessender präposition könnte sich leicht aus diesem typ entwickelt haben. solange also zwingende beweise fehlen, taugen diese übereinstimmungen nicht zum beweis der skandinavischen herkunft des englischen.

völlig unberücksichtigt geblieben sind im rahmen der hier diskutierten these ferner die lautlehre und die formenbildung – jedenfalls ist davon im artikel nichts zu finden. das ist ein schwachpunkt der these, denn sowohl die lautlehre wie auch die formenlehre des modernen englischen sind ohne weiteres als direkte fortsetzer des altenglischen verständlich und unterstützen die these vom ausgestorbenen altenglischen und der skandinavischen herkunft des modernen englischen in keiner weise. auch der grösste teil des wortschatzes, wenn man ihn denn berücksichtigen will, setzt natürlich einheimisches wortgut fort; nur ein bruchteil stammt aus dem skandinavischen. an diesem gesamtbild ändert auch ein vereinzelter lehneinfluss wie die aufnahme des nordgermanischen personalpronomens they nichts. zum vergleich: alle anderen personalpronomen des englischen (I, you, he, she [1], it, we) stellen direkte fortsetzer der entsprechenden altenglischen pronomina dar; von anderen typisch skandinavischen personalpronomen wie norwegisch han ‘er’, hun ‘sie’ fehlt im englischen jede spur.

literatur
nielsen, hans frede (1985). old english and the continental germanic languages. innsbruck. 2. auflage.

anmerkungen
[1] der fall von engl. she ist etwas kompliziert, aber jedenfalls ist es kaum skandinavischer herkunft.