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die sechs phasen der etymologischen recherche

  1. wildes assoziieren: das wort X gehört bestimmt zu Y! oder es ist eine ableitung vom verb Z! wobei, zwar… es könnte natürlich auch vom substantiv R rückgebildet sein… oder mit ablaut zu Q? mit grammatischem wechsel zu W?
  2. voreilige triumphgefühle: wie bitte, die etymologischen wörterbücher sagen, es gehört zu P? das kann ja wohl nicht ihr ernst sein? LOL das lässt sich bestimmt leicht zeigen, dass es stattdessen zu Q gehört!
  3. verzettelung: ach so, in diesem wörterbuch steht jetzt, dass das wort gar nicht zu P, sondern zu einer variante P(2) gehört, die ich aber nirgendwo finde? ausserdem stehen hier ein paar formen, die fast gleich aussehen, wie die im anderen wörterbuch, aber doch nicht genau gleich lauten? und was ist mit diesen anderen belegen hier, könnten die nicht vielleicht auch noch dazu gehören? hm, ich muss wohl mal noch in den wörterbüchern L und M und N nachschauen.
  4. komplettes chaos: häh? das passt ja alles gar nicht zusammen? die wörterbücher wiedersprechen sich ja gegenseitig? und wer referiert hier genau wen? habe ich vorher nicht grad gelesen, dass X nicht von Y, sondern umgekehrt Y von X angeleitet sei? aber wo habe ich das bloss gelesen? und wieso ist hier ganz eine andere bedeutungsangabe? ist das vielleicht gar nicht dieselbe wurzel, sondern eine andere, homonyme?
  5. lichtung der nebelschwaden: hmm, aha, wenn man mal die ganze sekundärliteratur systematisch durchliest, macht das alles mehr sinn.
  6. ernüchterung: tja, ich muss zugeben, dass die bisherige etymologie wohl doch die beste ist.

1 Comment

  1. 6 ist eher 6a, also nur eine Möglichkeit. Ich würde noch eine Phase 6b. anfügen. Titel: “Trotzreaktion” oder “Fundamentalkritik an ewiggestrigen Vorstellungen”. Beschreibung: In den Historischen Grammatiken steht ja nur Blödsinn, erst wenn wir die gesamte Laut- und Formenlehre umschreiben, werden wir diese Etymologie verstehen.

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